“Digitalisierung ist immer ganz klar eine Lösung” – im Gespräch mit Burkart Schmid

Er kennt die Gemeinschaftsgastronomie in- und auswendig. Als jahrelanger Chefredakteur und ehemaliger Herausgeber der gvpraxis gilt Burkart Schmid als absoluter Experte für die Branche. Im Gespräch gibt er seine Prognose für die Rolle der Digitalisierung in der Gemeinschaftsverpflegung in den kommenden Jahren und verrät interessante Insights zu den Trends der Betriebsgastronomie.
Starten wir mit einem kleinen Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, Sie laufen in 5 Jahren in ein modernes Betriebsrestaurant. Was begegnet Ihnen dort?

Ich nehme an, die Company, in der wir jetzt sind, hat ihr Betriebsrestaurant als einen wichtigen Faktor für Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden und die Vermittlung von Werten entdeckt. Wenn ich also in ein solches Betriebsrestaurant gehe, möchte ich von Anfang an eine Atmosphäre erleben, bei der ich denke „hier will ich bleiben“.

Aber ist das so neuartig?

Das ist deshalb wichtig zu erwähnen, weil die Betriebsrestaurants jahrzehntelang vor allem eins waren: saalartig und ungemütlich. Das lag daran, dass man auf die Aufenthaltsatmosphäre schlicht keinen großen Wert legte und reine Funktionalität im Mittelpunkt stand. Zukünftig wird es mehr um eine Wohlfühlatmosphäre gehen, in der man vielleicht auch nicht nur Gastro erleben kann, sondern auch Co-Working-Feeling. Statt einer großen Halle, die auf so genannte Free-Flow Anlagen optimiert war, wird es verschiedene Raumzonen und Ecken geben, in denen man sich auch über den Tag verteilt gerne mal aufhält. Das macht das Konzept ganztagsfähig. So kann man neue Dinge ausprobieren, die man vor einigen Jahren noch nicht für möglich hielt.

In einem anderen Interview sprachen Sie über „emotionalen Genuss“. Dort haben Sie auch gesagt, dass es besonders der immer schneller werdende Alltag dem „Genießen“ entgegensteht. 
Sehen Sie Digitalisierung dabei als Problem oder als Lösung?

"Die Digitalisierung ist immer ganz klar eine Lösung."

Warum? Weil sie sicherlich die persönlichen Besonderheiten und Interessen fördert und Vorlieben berücksichtigen kann. Die Digitalisierung bietet ein Füllhorn an Möglichkeiten, um die individuellen Wünsche des Gastes zu erfüllen. Das ist eine komfortable Situation.

Sehen Sie in gewissen Bereichen besonderes Potential?

Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass der Einsatz von Apps zur Bestellung und Information eine immer wichtigere Rolle einnimmt. So könnten die Gäste auf ihre Lieblingsgerichte hingewiesen werden.
Das ist aber auch mit der Frage gekoppelt, ob das gesamte Bezahlsystem ungestellt werden kann. Antwort vermutlich: ja. Ich habe auch digital tolle Möglichkeiten, Speisekarten anzeigen zu lassen, Bestellungen abzustimmen oder über die Sitzplatzauslastung zu informieren. Da kann man eigentlich nur von „Lösung“ reden. Ich halte das für absolut zukunftsweisend und denke, alles wird unseren Alltag sicherlich leichter machen.

Unsere Erfahrung hat gezeigt, im Umgang mit digitalen Neuerungen gibt es vorwiegend zwei Extreme:
Die einen sind von Sekunde 1 an begeistert und die anderen sind nur sehr schwer von dem Mehrwert zu überzeugen und grundsätzlich skeptisch.
Wie meinen Sie, können auch die Skeptiker abgeholt werden?

Wenn man sich die gesamte Geschichte der Betriebsgastronomie anschaut, ist die Branche immer recht konservativ gewesen. Sie funktionierte im Auftrag Dritter. Dass wir jetzt nach vorne gehen und von neuen Lösungen sprechen, hat Corona verursacht. Das ist eine Beschleunigung, die auch für viele erstmal eine Überforderung ist. Es ist deshalb wichtig, dass man darüber redet, welche Vorteile die Digitalisierung mit sich bringt. Und wenn jemand Vorbehalte hat, gilt es diese auch ernst zu nehmen. Oft geht es auch um Sicherheitsfragen rund um das Thema „Kasse“. Wer bislang bei personenbesetzten Kassen oft nette Gespräche hatte, ich wurde oft an mein Glas Wasser oder ein Dessert erinnert, der ist zunächst vermutlich nicht der größte Fan einer personallosen Kasse. Wenn ich aber weiß, welche Hintergründe und Vorteile das hat, verstehe ich die Neuerung viel besser.

Und wenn jemand ganz praktisch nicht mit den Neuerungen klarkommt?

Im Bereich der Betriebsgastronomie gibt es eine Besonderheit: Praktisch gehen die Gäste 150-mal im Jahr immer in den gleichen Laden. Das heißt es gibt eine vielfache Wiederholung und lange Tradition, an die man sich gewöhnt. Wenn man dann Veränderungen registriert, brechen teilweise ganze Welten zusammen. Solche Abwehrhaltungen sollte man ernstnehmen. Veränderungen müssen behutsam und mit Geduld umgesetzt werden.

Auf der einen Seite steigt das Bedürfnis der Gäste nach individueller Zubereitung der Speisen – auf der anderen Seite die Notwendigkeit, mehr und mehr Abläufe zu digitalisieren und damit effizienter zu gestalten. Meinen Sie, diese Trends können vielleicht sogar voneinander profitieren?

Schwierige Frage.

„Laut einer neuen Umfrage der gvpraxis hat Front Cooking enorm an Bedeutung verloren, weil oft nicht mehr die Frequenz am Counter stimmt.“

Es braucht für diese Zubereitungsart eine entsprechende Auslastung. Nur so kann das Essen immer wieder frisch zubereitet werden. Insbesondere durch die steigende Verteilung der Mahlzeiten über den Tag hinweg und auch durch geringere Gästezahlen dank Home-Office ist Front Cooking nicht mehr die Lösung. Man denke auch an den Personaleinsatz. Wichtig ist eine gesunde Ernährung mit höchster Experience für alle, die wähl- und konfigurierbar ist. 

Wie können Betreiber trotzdem Frische und Individualität in ihre Angebote bringen?

Wir müssen, was die Angebote angeht weiter umdenken. Auch diese Multi-Option, dass ich 5 Gerichte mit mehreren Beilagen habe, ist möglicherweise gar nicht mehr zeitgemäß.

„Ich glaube, dass viele einfach etwas Leckeres haben möchten. Maximal einfach! Mit höchster Leidenschaft und Spaß. Dafür reicht schon ein Tellergericht, bei dem ich das bekomme, was mir gefällt und ich bin froh, dass ich nicht 1000 Entscheidungen treffen muss.“

Besser sind heute online-Theken als One-Stop-Counter, die dem Gast alles anbieten. Das ist auch ein Teil der Individualisierung, dass ich nicht die gesamte Komplexität des Angebots erhöhe, sondern sie reduziere. Da kann die Digitalisierung einen entscheidenden Einfluss haben, weil sie den Informationsfluss vereinfacht und sich Gäste schon vorab informieren können. Mehr Benefit für System und Gast geht nicht.  

Aber handelt man damit nicht gegen die Interessen des Gastes?

Viele Dinge, die wir über Jahre hinweg als normal angesehen haben, lösen sich im Moment auf. Der alte Gedanke war „Bei uns hat jeder Gast etwas zu finden.“ Der neue Gedanke hingegen ist „Biete dem Gast doch etwas, das lecker, regional und nachhaltig ist.“ Dann sind alle zufrieden. Man muss nicht alles abdecken. Auch aus Nachhaltigkeitsaspekten ist das mehr als sinnvoll – Stichwort „Foodwaste“. Und grundsätzlich gilt: Je mehr Daten zur Verfügung stehen, umso besser. Also, digitalisierte Prozesse und Automation samt KI werden immer wichtiger.

Sie haben anfangs davon gesprochen, dass jedes Betriebsrestaurant abhängig vom Unternehmen sehr unterschiedlich sein kann und auch muss. Gibt es hier besondere „Paradebeispiele“?

Für Hipp in Pfaffenhofen war zum Beispiel sehr früh klar: „Wir wollen Bio.“ Also machen sie auch Bio. Hier geht es um Glaubwürdigkeit nach innen wie außen. Auffallend viele Familienunternehmen legen Wert auf gute und günstige Gastronomie. Dazu fallen mir Boehringer, Fischer, Henkel oder Engelbert Strauss ein.

Ein weiterer Punkt, in dem die Betriebsgastronomie in gewisser Weise abhängig von dem jeweiligen Unternehmen ist, sind die Arbeitszeiten der Belegschaft. Auch diese wurden spätestens seit Corona zunehmend flexibler. Wie sehen Sie hier die Auswirkungen?

Eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten bedeutet am Ende auch eine Flexibilisierung der Essenszeiten.

„Je freier ich in der Arbeit bin, desto mehr kommt mir in den Sinn vielleicht erst um 15 Uhr einen Snack zu holen. Dem müssen sich auch die Formate anpassen. Der deutlichste Sprung ist dabei die Entwicklung hin zu automatisierten personallosen 24/7 Mini Markets.“

Das Spannungsfeld, in dem wir uns jetzt bewegen, liegt in der Individualisierung der Essensgewohnheiten und der Flexibilisierung der Arbeitswelt. Das können wir nicht mit einer Mittagspause von 12 Uhr bis 14 Uhr auflösen. Es bleibt spannend, welche Ideen entwickelt werden. Digitalisierung ist dabei total wichtig. 

Welche Konzepte halten Sie hier für vielversprechend?

Wir befinden uns in einer Phase zunehmender Entgrenzung, ob am Arbeitsplatz oder in der Gastronomie, alles wird fließender. Vielleicht komme ich ins Büro, muss schauen, an welchem Arbeitsplatz ich heute sitze. Dann gehe ich in die Gastronomie und bleibe für das nächste Meeting direkt dort. So erlebe ich einen fließenden Übergang, der auch zu neuen Konzepten wie Work-Coffees mit Präsentationsecken, „Denkerzeilen“ oder Kreativ-Corners anregt. Dazwischen gibt es Snacks oder kreative Cakes, Fitness-Müsli oder Wellnessfood zum Mitnehmen. Das macht die neue Zukunft so spannend. Weil damit viele neue Optionen, die wir noch gar nicht alle kennen, interessant werden. Und natürlich sind immer digitale Lösungen auch hierfür ein Schlüssel zum Vermarktungserfolg.

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